Wir trauern um eine unermüdliche Kämpferin für Toleranz und Zivilcourage. Wir schließen uns den Worten von Alexander Laesicke, Bürgermeister von Oranienburg, an:
»Mit tiefer Betroffenheit haben ich heute erfahren, dass Minette von Krosigk am Montag verstorben ist. Mit Minette von Krosigk verlieren wir eine unermüdliche Kämpferin für Toleranz und Zivilcourage. Über Jahre hinweg hat sie dafür gesorgt, dass goldene, im Gehweg eingelassene Stolpersteine an die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Oranienburg und deren Schicksal erinnern.“
veröffentlicht auf oranienburg.de
Minette von Krosigk wurde am 26. September 2020 mit dem Ehrenpreis für Toleranz und Zivilcourage des Landkreises Oberhavel ausgezeichnet. In meiner Rolle als Koordinatorin der Partnerschaft für Demokratie in Oberhavel wurde mir die große Ehre zuteil, die Laudatio für Minette von Krosigk zu halten. Am Montag, den 28. September 2020, verstarb sie. Die Nachricht hat mich sehr getroffen. In Gedenken an diese großartige Frau ist die Laudatio hier veröffentlicht.
Bereits im letzten Jahr durfte ich Minette von Krosigk kennen lernen und eines ihrer vielen Projekte begleiten. Sie war maßgeblich verantwortlich für die Verlegung der Stolpersteine in Oranienburg und Umgebung. Das große Projekt, ihr Buch zu dieser Arbeit fertig zu stellen, war in den letzten Zügen.
Frau von Krosigk hat mit ihrem Engagement und ihrer Person viele junge Menschen – Schüler*innen und Auszubildende in ihren Bann gezogen und sie motiviert gemeinsam mit engagierten Lehrern wie Herrn Knust vom Georg Mendheim Oberstufenzentrum in die Geschichte zu schauen. Sie haben die Zeit zwischen 1933 und 1945 erforscht und Geschichten und Schicksale wieder lebendig werden lassen. Sie hat Zeitzeugen, Überlebende und Nachfahren kontaktiert und zu den Verlegungen eingeladen und immer gemeinsam mit den Schüler*innen sehr eindrucksvolle Veranstaltungen organisiert. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern organisierte sie fast alle Stolpersteinverlegungen in Oranienburg.
Wegbegleiter*innen haben Sie als herzlich, bescheiden, aber auch beharrlichen und entschieden beschrieben. Gemeinsam mit dem Fibb e.V. hat sie die zivilgesellschaftliche Landschaft in Oranienburg und im Landkreis geprägt und viele Generationen für lokale Erinnerungsarbeit begeistert.
Wir werden wo wir können die Fertigstellung des Buches unterstützen und auch den jungen FiBB e.V. weiter unterstützen, denn der Geist für Zivilcourage und gegen Diskriminierungen lebt weiter und sucht immer neue Mitstreiter*innen.
Eine Laudatio für Minette von Krosigk, die am 26. September 2020 mit dem Ehrenpreis für Toleranz und Zivilcourage des Landkreises Oberhavel ausgezeichnet wurde:
Sehr geehrter Herr Weskamp, Sehr geehrter Herr Schönfeld, Sehr geehrter Herr Kelly, Sehr geehrte Abgeordnete, liebe Gäste der interkulturellen Woche,
ich freue mich sehr, dass Minette von Krosigk für den Ehrenpreis für Toleranz und Zivilcourage ausgewählt wurde und dass ich heute die Laudatio für Sie halten darf. Leider kann Sie selbst heute auf Grund von Krankheit nicht dabei sein und auch der Rahmen für diese Ehrung ist durch die Corona- Auflagen leider sehr beschränkt.
Seit 2018 vergibt der Landkreis Oberhavel den Ehrenpreis für Toleranz und Zivilcourage. Bereits seit 2010 beteiligt sich der Landkreis mit Bewerbungen an diversen Bundesprogrammen zu den Themen Vielfalt und Toleranzförderung und gegen Rechtsextremismus, um eine weltoffene, tolerante und solidarische Gesellschaft in Oberhavel zu fördern. Eine wichtige Säule dabei ist die Zivilgesellschaft und das Engagement einzelner Personen, denen mit der Auszeichnung Anerkennung und Dank gezollt werden soll. Ihr Einsatz und Engagement für ein weltoffenes und tolerantes Oberhavel sind beispielhaft und haben Vorbildwirkung.
In meiner Rolle als Koordinatorin der Partnerschaft für Demokratie des Landkreises, angesiedelt beim Kreisjugendring Oberhavel e.V., treffe ich oft engagierte Personen im Landkreis und bin immer wieder beeindruckt über die Vielfalt und Kraft, die Menschen für ein diskriminierungsfreies Miteinander investieren. In diesem Rahmen durfte ich auch Frau Minette von Krosigk kennen lernen.
Minette von Krosigk ist schon sehr lange in Oranienburg und im Landkreis aktiv und hat hier wichtige Impulse gesetzt. In Ihrem Leben war sie viel in der Welt unterwegs, hat viel gesehen, recherchiert und geleistet und mit all dieser Expertise fand sie 1999 den Weg nach Lehnitz, Oranienburg.
Ein großes Glück und Bereicherung für die Region!
Ausgebildet als diplomierte Beschäftigungstherapeutin führte sie ihr Engagement und Interesse über die Kultur und Literaturarbeit zum Journalismus. Stationen waren dabei Paris, dann New York, wo sie in den Bereichen Kultur, Literatur und Politik gearbeitet hat. Nach China und dann Kasachstan und Belarus führten Sie Rechercheprojekte und ihre journalistische Arbeit. Seit 1999 recherchierte Sie im Bereich Rechtsextremismus in Deutschland mit dem Schwerpunkt Oranienburg.
Gleich im ersten Jahr 1999 wurde Sie Mitglied beim Forum gegen Rassismus und rechte Gewalt Oranienburg, was 1997 um Bernhard Fricke, Ralph Gabriel, Hajo Funke, Thomas Weitlich und Reiner Tietz gegründet wurde. Sie waren jahrelange wichtige Gestalter der Arbeit.
Die Expertise von Minette von Krosigk als Journalistin und ihre vielfältigen Erfahrungen bereicherten die Arbeit des Forums und seine Bekanntheit in der Region. Als starke Frau brachte Sie eine neue Qualität in die bisher eher männliche Gruppe. Aus dem Forum heraus, war Sie Mitbegründerin des FiBB – Förderverein für interkulturelle Bildung und Begegnung e.V., der bis heute eine wichtige zivilgesellschaftliche Säule in Oranienburg und im Landkreis ist.
Der FiBB e.V. bewarb sich erfolgreich mit einem Projekt bei „Civitas – initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern“ im Rahmen des Bundesprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie“ und erhielt 2001-2004 eine 3 jährige Förderung. Das half wichtige Strukturen und Netzwerke für die zivilgesellschaftliche Arbeit zu stärken.
Civitas war ein Vorgängerprogramm des heutigen Programms Demokratie leben! So dass sich hier der Kreis schließt und die Kontinuität zivilgesellschaftlichen Engagements in Oberhavel sichtbar wird.
Ein Netzwerkbüro im Zentrum Oranienburgs wurde eröffnet und Minette von Krosigk war 3 Jahre lang Geschäftsführerin. Sie legte die Basis für Kooperationen vieler zukünftiger Projekte. In der Arbeit der Netzwerkstelle fanden sich drei inhaltliche Schwerpunkte wieder:
1. Aktionen gegen Rechts 2. Angebote der historisch-politischen Bildungsarbeit im Rahmen „Lokaler Geschichtswerkstätten“ und 3. Bildungsarbeit im Bereich Miteinander-Voneinander-Füreinander, wo es um integrative und interkulturelle Projekte mit Jugendlichen und Asylbewerber*innen, aber auch Spätaussiedler*inn und jüdischen Kontingentflüchtlingen ging.
Die Arbeit umfasste kontinuierliche inhaltliche Auseinandersetzungen mit gegenwärtigen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus und rechter Gewalt im Landkreis Oberhavel durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen gegen Rechts.
Diese Arbeit war vor allem zu der Zeit – Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden. Waren doch Menschen vermeintlich anderer Herkunft und Engagierte häufig körperlichen Angegriffen oder verbalen Feindseligkeiten ausgesetzt. Minette von Krosigk war sich dem bewusst und zeigte in Gesprächen, aber auch in der Öffentlichkeit klare Haltung.
Leider beobachten wir auch heute wieder mehr Angriffe und Hasskommentare – vor allem in sozialen Medien – gegenüber Menschen, die sich für ein diskriminierungsfreies Miteinander einsetzen. Zivilcourage ist und bleibt ein wichtiges Thema!
Minette von Krosigk organisierte mit dem Forum jährlich im März Antirassismus-Demonstrationen in Oranienburg. Ausflugsfahrten in Museen und Zeitzeugengespräche, Kultur- und Rechercheprojekte mit jungen Menschen und die Unterstützung junger Menschen beim jährlich statt findendem Rock gegen Rechts waren nur einige bekannte Projekte. Es gab intensive Kontakte zu Schulen und Ausbildungsstätten, aber auch Fortbildungen von Fachkräften und Multiplikator*innen stand auf der Agenda.
Im Themenschwerpunkt Miteinander- Voneinander- Füreinander lag die interkulturelle Arbeit im Mittelpunkt, was der Landkreis ja auch seit 2017 mit der interkulturellen Woche, die heut eröffnet wird, fördern will.
Schon damals setzten sie sich für Integration ein, auch damals gab es mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien viele Menschen, die hier Asyl suchten.
Im Rahmen von Geschichtswerkstätten wurde die besondere Rolle Oranienburgs und seiner nationalsozialistischen Vergangenheit thematisiert. In einem Sachbericht hieß es:
„Die Verdrängung der Vergangenheit aus dem Alltag kann leicht dazu führen, gerade denen verstärkt Glauben zu schenken, die das geschehene in Frage stellen, Antisemitismus schüren, Ausländer und Obdachlose jagen und zu Tode bringen. … Die Chance der Stadt Oranienburg und umliegender Orte liegt im verantwortungsbewussten Umgang mit ihren historischen Orten. Nur dadurch erscheint eine Emanzipierung von den traumatischen Erfahrungen möglich zu werden.“
Es entstanden Projekte wie die Woche der Begegnung oder das Fest der Hoffnung – gegen Gewalt, das vielleicht noch dem ein oder anderen in Erinnerung ist. Nachdem die dreijährige Förderung auslief, war Sie weiterhin aktiv. Aus der intensiven Arbeit im Bereich lokale Erinnerungsarbeit entwickelte sich 2005 das Stolpersteinprojekt, was bis heute eine große Bedeutung für die Stadt und Region hat. Mittlerweile wurden 67 Steine allein in Oranienburg und Ortsteilen verlegt.
In all ihren Projekten arbeitete sie mit jungen Menschen zusammen. Gemeinsam mit den Schulen, wie beispielsweise das Runge Gymnasium und das Georg Mendheim Oberstufenzentrum, aber auch in Ausbildungsbetrieben motivierte Sie Schüler*innen zu konkreten Recherchen über „Oranienburger jüdische Bürger*innen und Jüdische Menschen und ihre Verfolgung“. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der Stolpersteinverlegungen oder Zeitzeugenbesuchen, wie aktuell beispielsweise von Brian Harpuder am 11.06.2019 sichtbar. Die bisher letzten Stolpersteine wurden am 20.02.2020 für Familie Tannenbaum verlegt. Zur Pflege der Stolpersteine regte Sie jährliche Putzaktionen an, die bis heute von der Stadt weitergeführt und verstetigt wurden.
Mit diesen 67 Stolpersteinen ermöglicht sie ganz konkret an 67 Einzelschicksale zu erinnern und lokale Erinnerungsarbeit lebendig zu halten. Die Stolpersteine holen die Personen aus der Anonymität des Opferstatus heraus und geben Ihnen ihr Gesicht zurück. Mit ihren Geschichten wird unter anderem in Schulprojekten weiter gearbeitet. Zum Beispiel das Schulprojekt
„Keine Schule, kein Haustier, kein … – Alltag jüdischer Kinder im Nationalsozialismus. (diesjähriger Preisträger des Franz Bobzien Preis) Hier machen Grundschüler*innen Stadterkundungen, pausen die Steine ab, und setzen sich mit den Geschichten der Personen auseinander. Das hält die Erinnerung und Mahnung wach. Ist aber auch Anlass aktueller Phänomene rechten Terrorismus und ihrer aktuellen Opfer aus Kassel, Halle, Hanau und an vielen anderen Orten zu erinnern.
Ich wünsche Minette von Krosigk, dass sie schnell genesen wird und ihr Buch zu den vielen Jahren Recherche bald fertig stellen kann. Ich wünsche ihr, dass sie noch viele Unterstützer*innen für die Veröffentlichung findet und vermittele gern den Kontakt, wenn auch Sie unterstützen wollen.
Weiterhin hoffe ich, dass die Idee, die Stolpersteine im Landkreis in einer Broschüre sichtbar zu machen, umgesetzt werden kann und dass es weiter so mutige Menschen gibt, die sich den aktuellen Phänomenen des Rechtsextremismus entgegenstellen und klare Haltung beziehen, wie Minette von Krosigk es seit den 2000er Jahren tut.