Gegen das Vergessen: Im Oktober und November finden im Land Brandenburg an verschiedenen Orten und Daten die Workshops „Stolpersteine – Erinnern vor Ort“ statt.

6. / 13. / 19. Oktober & 12. November
Seelow / Oranienburg / Königs-Wusterhausen / Potsdam
Was sind Stolpersteine? Was sagen sie aus? Wofür braucht es das Engagement junger Menschen? Woher bekommt ihr Informationen? Wie wollt ihr erinnern?
Nähere Informationen folgen.
Gegen das Vergessen
Stolpersteine sind ein internationales Denkmal- und Kunstprojekt. 1992 von dem Künstler Gunter Demnig initiiert, wurden bisher über 70.000 Steine in 21 Ländern verlegt. Hier in Brandenburg wurden in den letzten 29 Jahren über 1.000 dieser Steine verlegt – durch das Engagement vieler verschiedenen Initiativen vor Ort. Seit mittlerweile fast vier Jahren sammelt das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Brandenburg verlegte Stolpersteine in einer Datenbank. Seit 2020 gibt es eine eigene Website zur Dokumentation: https://www.stolpersteine-brandenburg.de/.
Erinnern für eine wertvolle Zukunft
Die Internationalen Wochen gegen Rassismus fanden in diesem Jahr vom 14. bis 27. März 2022 unter dem Motto „Haltung zeigen“ statt. Die bundesweiten Aktionswochen rufen rund um den Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März mit zahlreichen Aktionen zur Solidarität auf. Kommunen, Gewerkschaften, Migrantenorganisationen, Religionsgemeinschaften, Schulen, Sportvereine und viele ehrenamtliche Initiativen beteiligen sich.
Das Hennigsdorfer Aktionsbündnis H.A.L.T. gedachte am 21. März anlässlich des Antirassismustages an den Stolpersteinen in der Stadt Hennigsdorf all den Menschen, die Anfeindungen und Unrecht jeglicher Art in unserer Gesellschaft erlebt haben und erleben.
„Nur ein Blick in die Vergangenheit erklärt die Gegenwart und Erinnern ist wichtig für die Zukunft. Damit wir aus der Geschichte lernen können, ist es wichtig, nie zu vergessen, was damals passiert ist. Erinnern bedeutet deshalb nicht nur, sich an die Vergangenheit zu erinnern, sondern auch heute z. B. Hass und Hetze gegen Andere zu verhindern, damit sich die grausame Geschichte in Zukunft nicht widerholt.“
Annette Koegst, Sprecherin von H.A.L.T.
Nachlese
Die vollständige Rede von Anette Koegst, Sprecherin H.A.L.T., vom 21. März 2022:
Stolpersteine als Teil der Erinnerungskultur
„Liebe Mitglieder des Bündnisses H.A.L.T., liebe Gäste,
wir stehen heute am Antirassismustag (die offizielle Bezeichnung des Tages lautet übrigens „Internationaler Tag zur Beseitigung der Rassendiskriminierung“) vor dem Stolperstein der Familie Blaschke, die in der Neuendorfstr. 46 in Hennigsdorf wohnte, 1933 Deutschland verlassen musste und nach Spanien emigrierte.
In Hennigsdorf gibt es insgesamt 12 Stolpersteine, die an die Opfer des grauenhaften Nazi-Regimes, an die Opfer des Holocaust erinnern. An jene Menschen, die in Hennigsdorf als Mitbürger und Mitbürgerinnen gelebt haben, ehe sie gedemütigt, vertrieben, gequält und in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Das war und ist der Stadt ein Anliegen. Um die Namen und Schicksale dieser Menschen wieder sichtbar werden zu lassen, hat sich Hennigsdorf dem europaweiten Projekt des Künstlers Gunter Demnig angeschlossen und Pflastersteine mit Messingplatten, auf denen Namen, Daten und Schicksal zu lesen sind, vor dem letzten selbstgewählten Wohnort der Opfer verlegt. Um die Texte auf den kleinen Tafeln lesen zu können, muss man sich oft ein wenig vorbeugen – eine symbolische Verbeugung vor den Opfern, wie Demnig erklärte.
Mittlerweile gelten die Stolpersteine als das größte dezentrale Mahnmal der Welt und sind längst nicht mehr nur in Deutschland zu finden: In 25 europäischen Ländern wurden sie bis heute verlegt. Manchmal geht die Erinnerung über Opfer des Nationalsozialismus hinaus. Die Initiative „Die letzte Adresse“ etwa bringt in Russland, der Ukraine und Tschechien kleine Tafeln für Opfer des Stalinismus an.
Stolpersteine als Teil der Erinnerungskultur- warum ist das Erinnern nach wie vor wichtig? Was ist überhaupt Erinnerungskultur?
Erinnerungskultur ist der Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse.
Grundsätzlich wird der Erinnerungskultur in Deutschland eine außerordentliche Bedeutung zugemessen. Nach dem Erleben zweier Weltkriege, zweier Diktaturen und der deutschen Teilung ist dies nicht verwunderlich. Der Schwerpunkt des zeithistorischen Interesses an Erinnerungskulturen liegt hier nach wie vor auf der Geschichte des Holocaust.
Obwohl der Begriff „Erinnerungskultur” erst seit den 1990er-Jahren Einzug in die Wissenschaftssprache gefunden hat, ist er inzwischen ein Leitbegriff geworden. Allerdings sollte nicht die lange kulturhistorische Tradition der Beschäftigung mit Erinnern und Vergessen übersehen werden. Hierzu zählt neben vielem anderen Friedrich Nietzsches weithin bekannte Kritik an einem Übermaß an historischer Bildung ohne konkreten Lebensbezug. Seine Beobachtungen gipfelten 1874 in der Feststellung, dass es möglich sei, „fast ohne Erinnerung zu leben, ja glücklich zu leben, wie das Tier zeigt”. Ganz und gar unmöglich aber sei es, „ohne Vergessen überhaupt zu leben”. Der gleiche Denker hielt jedoch ebenso fest, dass „das Unhistorische und das Historische […] gleichermaßen für die Gesundheit eines Einzelnen, eines Volkes und einer Kultur nötig [sind]”.
Warum brauchen wir das Erinnern, was macht das Erinnern so wichtig?
Nur ein Blick in die Vergangenheit erklärt die Gegenwart und erinnern ist wichtig für die Zukunft!
Damit wir aus der Geschichte lernen können ist es wichtig, nie zu vergessen, was damals passiert ist. Erinnern bedeutet deshalb nicht nur, sich an die Vergangenheit zu erinnern, sondern auch heute z. B. Hass und Hetze gegen andere zu verhindern, damit sich die grausame Geschichte in Zukunft nicht wiederholt. Erinnern kann das Gefühl des Zusammenhaltes stärken und dazu beitragen, dass Menschen mit gleichen Ansichten sich Problematiken widmen, deren Aufarbeitung im gesellschaftlichen Kontext von Relevanz sind.
Erinnerungskultur gehört zur politischen Bildung und ist auch ein wichtiger Teil der Demokratieerziehung insbesondere für junge Menschen. Sie befördert deren Gestaltungskompetenz und Verantwortungsbewusstsein. Wir erinnern uns nicht um des Erinnerns willen, sondern um anschaulich Wissen zu vermitteln und Haltungen zu prägen, die junge Menschen in ihre Zukunft mitnehmen und auf deren Grundlage sie Gegenwart und Zukunft mitgestalten.
Die „Stolpersteine“ sind dafür ein sehr schönes Beispiel für Erinnerungskultur: Hier können Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung und ganz niedrigschwellig Verantwortung übernehmen. Sie können sich auf die Spuren dieser verfolgten Menschen begeben und diese „Stolpersteine“ zum Beispiel pflegen.
Da sind wir dann wieder bei der Gestaltungskompetenz. Es macht einen Unterschied, ob ich nur etwas über einen anderen Menschen lese oder ob ich einen Beitrag gegen das Vergessen leiste.
Abschließen möchte ich mit einer Tore eines jüdischen Gebets:
So lange wir leben, werden auch sie leben
Denn sie sind ein Teil von uns
Wenn wir uns an sie erinnern.“